Februar/März 1991 - Bulletin der Gemeinde Oberentfelden

Begegnung mit Bulletin-Lesern: Alpinist und Poet Kurt Haberstich
Ein schier unstillbarer Freiheitsdrang sowie eine Prise Abenteuerlust begleiten den 42jährigen Alpinisten Kurt Haberstich auf seinem Lebensweg. Er bewegte sich schon in einer jener Grenzsituation zwischen Leben und Tod, wenn er auf den höchsten Bergen Nordamerikas und Perus stand, Spitzbergen durchquerte oder im Alleingang mit den Skiern das afrikanische Atlasgebirge beging.

Was fasziniert Sie an diesen Besteigungen; sind Sie ein Sportkletterer?
Jede Bergfahrt stellt eine Bewährungsprobe dar, die mir im geregelten Alltag nicht geboten wird: Die Herausforderung, mich mit den Naturelementen auseinaderzusetzen; der Bewegungsablauf in der Vertikalen, der aufs Äusserste spüren lässt, wie Körper und Geist als Einheit funktionieren; die eigenen Leistungsgrenzen ausloten; dann das stille innere Glücksgefühl auf dem Gipfel, sich selbst sein zu können – frei zu sein. Vielleicht ist es auch die stete Suche nach dem eigenen Ich? (!) In der Fülle, in der sich der allgemeine Begriff Alpinismus darstellt, ist Sportklettern lediglich ein Teil, eine Sparte davon. Ich strebte immer das Gesamte an. Sportkletterer wollte ich nie sein.

Wie bereiten Sie sich auf solche Abenteuer vor, um das Risiko so klein wie möglich zu halten?
Wesentliche Vorarbeiten sind: permanentes, hartes Kraft-Ausdauer-Training; Atmungstechnik; schwierige und lange Bergtouren mit vielen Höhenmetern; sorgfältiges Routen- und Geländestudium; minuziöse Ausrüstungszusammenstellung und –optimierung (was zu Hause nicht funktioniert, ist am Berg unbrauch-bar); Verpflegungs- und Bekleidungslisten; eventuell ärztlicher Untersuch mit Schutzimpfungen. Dazu all die unentbehrlichen „Kleinigkeiten“… Wann immer möglich, setze ich mich mit der Sprache und den Sitten des Landes auseinander.

Kennen Sie keine Angst?
O doch! Gerade im Grenzbereich zwischen Sein und Nichtmehrsein lernte ich die Angst ums Überleben kennen. Angst, so natürlich wie in der Urzeit, als Tod und Vergänglichkeit noch keine Tabus waren. Gebührende Angst kann als Schutzfaktor, übertriebene jedoch als Gefahr wirken. In Grenzsituationen, besonders im Alleingang, wird der schlummernde Instinkt geweckt. Die Angst weicht dann in dem Masse, wie die angeborenen Fähigkeiten geschärft werden. Im Übrigen jedoch habe ich selten Angst, eher gehörigen Respekt.

Welche Gedanken umfingen Sie bei jenen bangen Momenten im Jahre 1982 auf dem Mt. McKinley in Alaska?
Als auf etwa 6000 Metern gewaltige Stürme mit Temperaturen um Minus 50 Grad Celsius Zelte zerfetzten und uns am Weiterkommen hinderten erlebte ich, wie schnell alles Materielle seine Bedeutung verliert; die Winzigkeit des Menschen in der unerbittlichen Natur; dass Besitz nur ausgeliehene Ware ist, die irgendeinmal wieder abgegeben werden muss. Bereit zurückzugeben, zu sterben - worauf mein Überlebenswille alles unternahm, mich vom bereits losgelösten, schwebenden Zustand wieder zurückzubringen, in den Griff zu bekommen: Feststellungen am Ich, die nur unter extremen Bedingungen möglich sind, die ich nie mehr missen möchte.

Welches war Ihr eindrücklichstes Erlebnis?
Wenn es sich um Härte, Durchstehvermögen, eigentliches Überleben beim Bergsteigen handelt, war es sicher die Besteigung mit Ski des kältesten Berges der Erde, des Mt. McKinley. Stark geprägt haben mich aber auch verschiedene Bergunfälle, bei denen ich erforderlichen „Reparaturen“ immer wieder volle Gesundheit erlangte. Ansonsten hinterliess jede Tour ihre mehr oder weniger markanten Spuren, an denen ich mich jederzeit orientieren kann.

Wie verarbeiten Sie die vielen Eindrücke, um anderen Leuten etwas von der Faszination der Bergwelt zu vermitteln?
Mit ausgewählten Reisefotos stelle ich Diavorträge zusammen, die ich laufend interessiertem Publikum präsentiere. Oft verfasse ich die Erlebnisse zu Foto-Reportagen, welche von verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht werden. Neben andern Themen arbeite ich auch am Manuskript meiner Erlebnisse als Bergsteiger.

Sie haben schon einige Bücher geschrieben. Das neueste „Be-Sinnlichkeit“, ist im Landanzeiger-Verlag erschienen. Welche Gedanken liegen diesem Gedichtband zugrunde?
Ein folgenschwerer Gleitschirmunfall stutzte mir die Flügel, legte mir den Hemmschuh an: der rechte Fuss ist fast steif. Gleichzeitig eröffnete er mir auch neue Perspektiven, beruflich wie in der Freizeit. So entstand in der langen Genesungszeit ein Konzentrat meiner letzten „Gedanken-Jahre“, das ich zu einem Büchlein verfasste. Es soll aufzeigen, dass man nach einem so genannten Schicksalsschlag nicht zu verzweifeln braucht, sondern von den vielen anderen Möglichkeiten Gebrauch machen kann – helfen, durch Verlust Gewinn zu erlangen. Indem ich mich mit all dem Erlebten auseinandersetze, durch konzentriertes Schreiben wieder aufleben lasse, beschreibe, kann ich akzeptieren, nicht mehr der äusserst sportlich aktive Mensch zu sein. Dennoch wird mir trotz bleibender Körperbehinderung nichts davon abhalten, immer Bergsteiger zu sein!

Das Interview führte Edwin Hämmerle, Redaktor des Landanzeiger.