31. Juli 2003 - Seetaler Bote

Seetaler Lüüt: Kurt Haberstich, Herlisberg <br>„Angst kenne ich überhaupt nicht“

Der Draufgänger
Er hat schon hunderte von Berggipfeln bestiegen, überlebte einen 300-Meter-Sturz beim Steilwandfahren und donnerte mit dem Gleitschirm in eine Felswand. Kurt Haberstich aus Herlisberg ist ein Tausendsassa und fürchtet sich vor nichts. Er sagt, er wandle jegliche Angst in Respekt vor der Sache um. Ganz simpel. Nur vor Strom fürchtet er sich. Also gibt’s doch noch etwas. Nachdem ein Unfall seine Bergsteigerkarriere beendet hat, schrieb er fortan seine Gedanken nieder. Daraus sind inzwischen 15 Bücher entstanden. Aus Holz fertigt er zudem Kunstwerke und Möbel. Bei so vielen Aktivitäten konnte es einem beinahe schwindlig werden.

Wenn man ihn porträtieren will, weiss man gar nicht, wo anfangen. Am Besten fängt er vielleicht selbst an: „Wenn ich früher im Winter Bergsteigen gehen wollte, aber Lawinengefahr drohte, ging ich ins Entlebuch auf die Schrattenfluh. Und weil diese für mich „nur“ 1000 Höhenmeter hatte, bin ich morgens um 7 Uhr bereits das erste Mal oben gewesen. Ich bin mit den Skis runtergefahren als die Skittourengänger unten erst ankamen, stieg gleich noch mal hoch, damit ich meine 2000 Höhenmeter zusammen hatte, und war rechtzeitig zum Mittagessen wieder zu Hause.“ Das ist Kurt Haberstich. Jede Minute des Tages voll aktiv.

Den Tod als Begleiter
Ende der Sechzigerjahre begann Haberstich mit dem Bergsteigen. Er bestieg hunderte von Gipfeln auf den verschiedensten Routen. Unter anderen auch den Mount McKinley und die 4000er im Atlasgebirge. 1985 begann er als einer der Ersten mit dem Gleitschirmfliegen. Und von da an war der Gleitschirm Haberstichs ständiger Begleiter auf seinen Bergtouren. „Mit diesem Kamikaze-Schirm würde heute aber niemand mehr fliegen.“ Ja, dem Tod ist der Wagemutige auch schon mehrmals entgegen geflogen. Zum Beispiel bei seinem 300-Meter-Sturz beim Steilwandfahren. Danach musste er sich sechs Stunden zu Fuss ins Tal quälen. Und das bei zwei Meter Neuschnee. „Ich hatte zwar nichts gebrochen, aber am nächsten Tag sah ich aus wie eine Blutwurst“, das hielt ihn natürlich nicht vom Arbeiten ab. Und bereits am nächsten Wochenende war der Alpinist wieder in den Bergen anzutreffen. Oder aber als er 1989 beim Gleitschirmfliegen mit etwa 50 Stundenkilometern frontal in eine Felswand prallte. Dabei kugelte er sich die Schultern und die Hüfte aus, zersplitterte die Ellenbogen und brach den Fuss mehrmals. Trotz dieser Verletzungen kämpfte sich der Überlebenskünstler noch etwa 70 Meter den Hang hinauf. Dort wurde er von einem Gleitschirmfluglehrer entdeckt, der ihn mit seiner Klasse beobachtet hatte. Auf die Frage, ob er denn noch lebe, antwortete Haberstich: „Klar, was meinsch eigentlech!“ Man fragt sich: Hat dieser Mann eigentlich nie Angst? „Angst kenne ich überhaupt nicht.“ Er wandle jegliche Angst in Respekt vor der Sache um. Aber hat er wirklich vor nichts und niemandem Angst? „Mit Strom mache ich ihnen gar nichts, da lasse ich meine Finger davon.“ Also doch.

Der Schreiberling erwacht
Dieser Unfall 1989 beendete aber schliesslich seine leidenschaftliche Bergsteigerkarriere. Aber nicht seinen unersättlichen Tatendrang. Beinahe unbeweglich im Krankenbett liegend bat Haberstich eine Krankenschwester, sie solle ihm doch bitte einen Notizblock und einen Bleistift bringen. Er wolle seine Gedanken niederschreiben. Der Schreiberling in Haberstich war erwacht. Ein paar Monate später erschien dann bereits sein erster Gedichtband „Besinnlichkeit“. Ein halbes Jahr darauf schon das nächste Buch, eine Erzählung. Bisher hat er 15 Bücher geschrieben und veröffentlicht. Dazu kommen seit einigen Jahren noch Agenden und Kalender, die Gedichte und Fotografien seiner zahlreichen Reisen enthalten.

Neben dem Schreiben fing er auch an kunstvolle Skulpturen anzufertigen. Seine Werke aus Speckstein oder aus Holz konnten schon an diversen Ausstellungen besichtigt werden. Aber seine grösste Ausstellung befindet sich wahrscheinlich in seinem Haus. Das ist nämlich voll von seinen Skulpturen und selbstgemachten Möbeln. Ausserdem sind in seinem Arbeitszimmer hunderte von Gedichten und Dias, die er alle fein säuberlich nach Themen ordnet. Es bleibt nur abzuwarten, in was er sich als Nächstes vertieft. Sicher ist, dass er zeitlebens voll aktiv bleiben wird.

Er ist auch ein Sänger
Kurt Haberstich, Jahrgang 1948, wohnt seit sieben Jahren in Herlisberg mit seiner Frau Ilse, geborene Triendl. Aufgewachsen ist er in Unterentfelden (Aargau). Nach seiner Lehre als Konstruktionsschlosser und zahlreichen anderen beruflichen Tätigkeiten ist Haberstich heute Koordinator bei der Arbeitslosenversicherung in Luzern und stellvertretender Amtsleiter. Zu seinen Hobbys gehört auch das Singen.

Heimat
Heimat sollte daheim sein bedeuten.
Und daheim ist dort,
wo wir uns auskennen,
Bescheid wissen,
wo wir das Schöne geniessen
und das Schwere mittragen,
wo wir uns verantwortlich fühlen,
Hoffnung nähren und uns einbringen.
Das ist der Ort,
an dem wir ein Lächeln zurücklassen
und wo man uns vermisst,
wenn wir gehen
und gern an uns zurückdenkt.

Patrick Höltschi