Appenzeller Zeitung, 18. Juli 2019, Claudio Weder

Süchtig nach dem Alpstein

Kurt Haberstich liebt seine Wahlheimat Appenzell über alles. Nun hat er ein Buch über die Meglisalp geschrieben.
Den Ruhestand auf dem Sofa zu verbringen, kommt für Kurt Haberstich nicht in Frage. Der 71-Jährige ist seit sechs Jahren pensioniert – und verbringt seither die meiste Zeit in jenem Gebiet, das er vor fünf Jahren zu seiner Wahlheimat erkoren hat und das er mittlerweile so gut kennt wie seine linke Hosentasche: im Alpstein. Erst kürzlich umrundete er einen grossen Teil des Gebirgsmassivs in nur einem Tag – ohne Übernachtung. Allein in den vergangenen sechs Jahren war Haberstich 500 Mal am Seealpsee, wie er erzählt.
Ebenso aktiv ist der Rentner als Buchautor. Allein im vergangenen Jahr veröffentlichte er drei Bücher, darunter den Bildband «Seealpsee – magische Momente». Ende Juni folgte bereits die nächste Publikation – und auch diese widmete Haberstich seiner Wahlheimat.
Im Unterschied zu den früheren beiden Alpsteinpublikationen sollte «Meglisalp – Ein Sennendörflein erzählt seine Geschichte» aber kein Bildband werden. «Vielmehr wollte ich etwas Kompaktes schaffen, das auch mal in den Wanderrucksack passt.» Entstanden ist ein gut 100 Seiten umfassendes, informatives Büchlein, das den Leser in acht Kapiteln durch die Geschichte dieses besonderen Ortes führt – gegliedert nach Themen wie Gastronomie, Tourismus, Brauchtum, Sagenhaftes oder Flora und Fauna. Angereichert wurden die Textpassagen mit rund 60 Fotografien, die Haberstich während seiner unzähligen Besuche auf der Meglisalp selbst gemacht hat.
Nicht verzagen, Haberstich fragen
«Das Alpdörflein Meglisalp ist eine Sensation.» Wenn Kurt Haberstich über seine Herzensregion spricht, kommt er aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. «Selten gibt es heute noch etwas so Intaktes, das seit über 150 Jahren seinen Charakter behalten hat.» Umso erstaunlicher sei es, dass es bislang kein Buch über diesen besonderen Ort gebe, sei die Meglisalp für den Appenzeller Tourismus wie auch das Brauchtum doch gleichermassen bedeutend.
Wer Haberstich liest oder hört, merkt schnell: Dieser Mann ist ein profunder Kenner der Region. Angesichts seines historischen, geografischen und politischen Wissens könnte man sogar glatt meinen, er sei ein waschechter Innerrhoder. Wenn da nicht der Aargauer Dialekt wäre.
Tatsächlich wohnt Kurt Haberstich gemeinsam mit seiner Frau erst seit fünf Jahren in Innerrhoden. Zuvor lebte er während 18 Jahren in Herlisberg im Kanton Luzern, aufgewachsen ist er im aargauischen Unterentfelden. Was ihn dazu bewog, ins Appenzellerland zu ziehen? «Hier habe ich alles, was ich brauche», sagt der 71-Jährige. Vor allem die Berge seien ein Grund, warum er in Innerrhoden seinen Lebensabend verbringen will. Den Fählensee, die Kreuzberge und den Altmann habe er bereits in den 70er Jahren kennen gelernt. Zum Alpstein-Kenner wurde Haberstich aber erst, seit er hier lebt. «Mittlerweile gibt es im Alpstein fast keine Route mehr, die ich noch nie begangen bin.»
Man glaubt dem 71-Jährigen, der einst Extrembergsteiger war, aufs Wort. Über 1000 Gipfel in aller Welt hat er bestiegen, unter anderem den 6190 Meter hohen Denali (Mount McKinley) oder den Nevado Huascarán, den höchsten Gipfel Perus. Im Alleingang überquerte er einst alle Viertausender des Atlas-Gebirges und war Mitglied einer Schweizer Polarexpedition.
1989 wollte Haberstich noch höher hinaus: Er wollte den knapp 7000 Meter hohen Aconcagua, den höchsten Gipfel Südamerikas, besteigen und als Erster mit dem Gleitschirm zurück ins Tal segeln. Doch daraus wurde nichts. Während des Gleitschirmtrainings im Berner Oberland geriet Haberstich in Turbulenzen und verlor die Kontrolle über seinen Schirm. «Ich prallte mit 60 Stundenkilometern gegen eine Felswand.» Glücklicherweise beobachtete ein Fluglehrer den Vorfall und alarmierte die Flugwacht.
Haberstich hatte Glück im Unglück. Sein Fuss war mehrfach gebrochen, Hüfte und Schulter ausgekugelt, sein Ellenbogen gequetscht. «Ein Haar hätte gefehlt, und ich wäre querschnittsgelähmt gewesen.» Der Unfall bedeutete das Aus für seine Bergsteigerkarriere. Eine neue Leidenschaft war jedoch schnell gefunden: «Noch auf dem Krankenbett bat ich die Krankenschwester, mir einen Stift und einen Block zu reichen.» Schon früher habe er viel geschrieben, vor allem Reportagen. In jener Zeit nach dem Unfall sei das Schreiben für ihn zu einer Art Therapie geworden. Und so entstanden bald Gedichtbände, Erzählungen und Sachbücher. Bis heute hat Kurt Haberstich rund 30 Bücher veröffentlicht.
Lobende Worte vom Landammann
Mit seinen Büchern – zumindest denen, die er seiner Wahlheimat widmet – will Haberstich den Innerrhodern, die ihn vor fünf Jahren gut aufgenommen haben und ihm seither viel Wertschätzung entgegenbringen, etwas zurückgeben. Im Buchladen in Appenzell wurde er schon als «der berühmteste Appenzeller mit dem Aargauer Dialekt» tituliert. Und auch der Landammann höchstpersönlich, der an der Buchvernissage von «Meglisalp» die Laudatio hielt und obendrein das Vorwort zum Büchlein verfasste, fand lobende Worte. «Das ist für mich eine besondere Ehre, und motiviert mich, immer wieder weiter zu machen», sagt Haberstich.
Mit Klettern hat der ehemalige Extrembergsteiger heute nichts mehr am Hut. Die Liebe zu den Bergen ist aber geblieben, und trotz teilsteifem Fuss ist Haberstich immer noch viel in den Bergen unterwegs, wenn auch mit der nötigen Vorsicht. «Meine Sturm-und-Drang-Jahre habe ich hinter mir», sagt er und lacht.
Zur Person
Kurt Haberstich (geboren 1948) wuchs in Unterentfelden AG auf. Er absolvierte eine Lehre zum Konstruktionsschlosser und war nach diversen Weiterbildungen als Betriebstechniker, Organisator, Fotograf, Skulpteur, Kursleiter für Gestaltung, Personalberater und RAV-Leiter tätig. Bis zu seiner Pension im Jahr 2007 war Kurt Haberstich RAV-Koordinator und Vize-Leiter des Kantonalen Arbeitsamtes Luzern. 2014 wechselte er seinen Wohnsitz nach Appenzell. (wec)