8. März 1990 - Aargauer Kurier

Vom Bergsteiger zum Dichter

Er war der „Aargauer Messner“. Stand auf nahezu 500 Gipfeln, auf den höchsten Bergen Nordamerikas und Perus; durchquerte Spitzbergen und das Atlasgebirge. Doch dann passierte es – Bergsteiger Kurt Haberstich (42) stürzte im Berner Oberland mit dem Gleitschirm ab.

…schwer verletzt liegt er auf einem Felsvorsprung: zerschmetterte Füsse, Stauchungen und Prellungen am ganzen Körper: Blut rieselt aus dem Ärmel, und das Hosenbein färbt sich rot. Ein Blick nach unten, Kurt Haberstich schreckt zurück – 300 Meter gähnende Tiefe. Vor drei Jahren sagte er im Aargauer Kurier: „Wenn die Natur stärker ist, würde ich sogar den Tod akzeptieren.“ Ist es jetzt soweit?

„Zum Glück war’s nicht soweit.“ Lebensgefährtin Ilse lächelt, schaut ihren Freund dankbar an. Sie verfolgte die Schreckensmomente von Wengen aus mit dem Feldstecher. Sie erzählt: „Der Helikopter holte ihn aus der Felswand. Wegen der Kleidung wusste ich sofort, dass es mein Kurt war. Dann verschwand der Heli hinter den Bergen. Als der nächste Gleitschirmflieger im Tal landete, rannte ich zu ihm und fragte, was passiert sei. Der Mann konnte mir endlich bestätigen: Kurt lebt! Die Air Glacier bringe ihn ins Spital nach Interlaken. Das sei ein gutes Zeichen – weil er sonst, wenn’s ganz schlimm um ihn stünde, nach Basel geflogen werden müsste.“

Ein Jahr nach dem Drama und drei Jahre nach unserem ersten Treffen. Wir sitzen in Kurt Haberstichs Wohnung in Oberentfelden. Statt von hohen Gipfeln reden wir heute von tiefen Gedanken. „Mit dem Extrem-Alpinismus ist es vorbei“, sagt Kurt; steht auf, hoppelt zum Schreibtisch, „der rechte Fuss ist fast steif.“ Als er zurückkommt, strahlt er aber wieder wir früher. „Hier, lies das einmal!“

Eine Krankheit
ist oft der Schlüssel,
um das eingerostete Tor
zu sich selbst zu öffnen.

Aus dem einstigen Bergsteiger ist ein Dichter geworden! Soeben ist sein erstes Werk herausgekommen: „BE-SINNLICHKEIT“, Gedichte und Aphorismen. „Schreiben bedeutet mir heute soviel wie früher das Bergsteigen“, gesteht er nach einer Weile. Und stolz zeigt er das Manuskript für ein weiteres Bändchen, das im Herbst erscheinen soll.

Auch beruflich geht Kurt Haberstich neue Wege: Der frühere Betriebsfachmann machte seine Hobbys zum Beruf und arbeitet heute als Fotograf/Texter. „Der erste Job, in dem ich mich ‚vögeliwohl’ fühle.“
Zufrieden und glücklich blinzelt er in die Märzensonne. „Ich hätte nicht geglaubt, dass ein Verlust soviel Gewinn bringen kann.“

Stefan Aerni