Mein Dom sind die Berge

Kurt Haberstich hat den Bildstock auf der Alp Grosshütten selbst erstellt

Appenzeller Volksfreund, 24. August 2023 / Mirjam Bächtold

Über 1000 Gipfel hat Kurt Haberstich erklommen. Früher nannte man den aus dem Kanton Aargau nach Appenzell Gezogenen «Aargauer Reinhold Messner».
Nach einem schweren Gleitschirmunfall hat er mit dem Bergsteigen aufgehört. Aus Dankbarkeit, weil er überlebt hat, errichtete er auf der Alp Grosshütten einen Bildstock.

Etwa drei bis vier Mal wöchentlich wandert Kurt Haberstich zur Alp Grosshütten unterhalb des Seealpsees. Hier hat er im Juli 2016 einen Bildstock montiert, den er selbst gemacht hat. Der Bildstock ist der Mutter Gottes geweiht. «Ich wurde katholisch erzogen. Die Mutter Gottes ist mir näher als Jesus am Kreuz. Den finde ich immer etwas traurig», sagt Kurt Haberstich. Die Bronzestatue der Maria mit Kind hat er giessen lassen, den Rest hat der ehemalige Schlosser aber selbst hergestellt, auch die Blüten aus Kupfer und Aluminium zur Dekoration. Mit dem Bildstock wollte er seine grosse Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dafür dass er nach fünf Abstürzen in den Bergen noch lebt.

Fast erfroren
Kurt Haberstich war früher Extrembergsteiger. Er hat über 1000 Gipfel erklommen, darunter auch den kältesten Berg der Welt: den 6194 Meter hohen Mount McKinley in Alaska, heute bekannt unter seinem indianischen Namen Denali. Da es sechs Meter Neuschnee gab, brauchte die Truppe für die Tour länger als geplant. «Der Wind hatte die Zelte zerfetzt, wir mussten Iglus bauen. Die Nahrung war fast aufgebraucht, weil wir mehr Zeit benötigten. In den Iglus hatten wir wenig Sauerstoff. In einer Nacht wären wir fast erfroren, hätte nicht einer des Teams uns alle geweckt», erinnert sich der 75-Jährige.
Er hat viele solche Abenteuer erlebt. In Marokko bestieg er im Alleingang alle sieben Berge, die über 4000 Meter hoch sind. Auch am Polarkreis hat er gemeinsam mit anderen Bergsteigern etliche Gipfel erklommen. Da er früher im Kanton Aargau lebte, wurde er von den Medien bald als «Aargauer Reinhold Messner» betitelt. Doch er hat nie Gipfel gesammelt oder auf einer Liste abgehakt. «Wenn ich in den Bergen unterwegs bin, spüre ich, wie ich den Naturgewalten ausgesetzt bin. Ich will sie nicht herausfordern, aber spüren muss ich sie, das brauche ich», sagt er. Er fühle sich draussen in der Natur Gott näher als in einer Kirche im Gottesdienst. «Die Berge sind mein Dom und die Natur ist mein Lebenselixier.»

Mit Glück überlebt
Auch wenn Kurt Haberstich von sich sagt, die Naturgewalten nicht herauszufordern, kam er trotzdem schon oft in gefährliche Situationen. Er überlebte drei Bergabstürze, rettete bei zwei Abstürzen seine Freunde und hatte auch zwei Gleitschirmunfälle, den letzten 1989. Dieser Absturz beendete seine Bergsteigerei. Er geriet beim Flug in Turbulenzen und hatte seinen Schirm nicht mehr unter Kontrolle. «Ich donnerte mit etwa 60 Stundenkilometern in eine Felswand», erzählt er. Zu seinem Glück war ein Fluglehrer mit Schülern in der Nähe, sonst hätte Kurt Haberstich nicht überlebt. Er hatte mehrere Brüche, allein sein Sprunggelenk war zehn Mal gebrochen. Daneben waren der Ellbogen gequetscht sowie Hüfte und Schulter ausgekugelt. Mehrere Jahre lang konnte er nach diesem Unfall gar keinen Sport mehr machen. Er ist seither weder geklettert noch mit dem Gleitschirm geflogen.
Doch die Liebe zu den Bergen hat nie nachgelassen. Heute geht Kurt Haberstich fast täglich wandern. Nur im Winter, wenn Lawinengefahr herrscht, bleibt er zu Hause. Den Alpstein schätzt er besonders wegen der grossen Vielfältigkeit auf kleinem Raum. «Da ist für jeden etwas dabei von der Familie bis zum Kletterer.»
2016 suchte er eine Alp, auf der er seinen Bildstock montieren konnte. Auf der Alp Grosshütten wurde er fündig. «Es war mir wichtig, dass es eine private Alp und keine Kooperation ist, das macht es einfacher», sagt Kurt Haberstich. Brauereiinhaber Karl Locher, Besitzer der Alp Grosshütten, gab gern die Erlaubnis, den Bildstock hier aufzustellen. «Ich wollte damit meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dafür, dass ich all diese Abstürze überlebt habe, besonders den letzten», sagt Kurt Haberstich.

Er sammelt Abfall ein beim Wandern
Wenn Kurt Haberstich zu Wanderungen aufbricht, nimmt er immer einen leeren Abfallsack mit und sammelt unterwegs alles ein, was nicht in die Natur gehört. «Noch vor einigen Jahren habe ich auf der Strecke zum Seealpsee und zurück einen 70-Liter-Sack gefüllt nach einem Wochenende», schildert er. Das habe sich zum Glück seit rund einem Jahr gebessert. Heute könne er oft beobachten, dass auch Familien mit Kindern sowie Jäger und Fischer Abfall einsammeln, der nicht von ihnen ist. «Es ist schön zu sehen, dass der Alpstein auch anderen am Herzen liegt.»

Sommerserie
(aha) Mehr als 150 Kreuze stehen gemäss Josef Inauens Buch «Bildstöcke, Wegkreuze und Kapellen in Appenzell Innerrhoden» im Kanton: sichtbare Zeichen der christlichen Glaubenshaltung der Bevölkerung und des damit verbundenen Brauchtums. Doch Kreuze sind auch Treffpunkte, Wanderziele oder Orte der Besinnlichkeit. In unserer Serie «Beim Kreuz gekreuzt » stellen wir Ihnen Menschen vor, die eine besondere Beziehung zu einem der Appenzeller Kreuze haben.

Kommentare
Ein sehr schöner Artikel, ein Porträt, mit einem lachenden und straffen, gesunden und munteren Berggänger und seinem Dom, wo er sein Leben bedenkt, der ihm auch leicht hätte das Leben kosten können.
A. I. Unterägeri

Toll dieser Bericht. Es spiegelt dein SEIN und deine Schöpferkraft wieder. Es ist unglaublich wie du in jungen Jahren unterwegs warst. Vieles erlebt, selber inszeniert und jetzt wird immer wieder sichtbar was und wie du im Leben unterwegs warst und immer noch bist.
K. M. Oberkulm

Danke für den interessanten Zeitungsartikel. Dein Leben ist einfach beeindruckend und vielseitig.
M. P. Villnöss (Südtirol)

Den Bericht in der Zeitung haben wir gelesen und archiviert. Grosses Kompliment und Staunen !!!
C. I. Gais*

Ich staune immer wieder, wie aktiv und engagiert du bist.Besonders imposant finde ich den Bildstock auf der Alp Grosshütten. Dieser wird wohl dich und uns alle "überleben" und Zeugnis ablegen von deinem unermüdlichen Schaffen.
B. F. Teufenthal

Der Bericht in der Tageszeitung ist ganz toll!
S. S. Interlaken