23. Oktober 2007 - Seetaler Brattig

Wehe, wenn ihn der “Haber sticht“

Kurt Haberstich. Einer der seine Träume lebt.
Er hat seine Träume verwirklicht. Sie gelebt und ausgekostet. Kurt Haberstich, ein fast zur Ruhe gekommenes Multitalent, 1948 in Unterentfelden geboren und aufgewachsen. Einer der gut erzählt. Nahezu druckreif. Wir sitzen im Wintergarten seines gepflegten Hauses in Herlisberg, wunderbar über dem Baldeggersee gelegen. Er, der nie geglaubt hätte, einmal Bücher zu veröffentlichen, Theaterstücke zu schreiben und im Vorstand des Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellervereins zu sitzen, berichtet. Ohne Überheblichkeit, ruhig und überlegt. Dabei stellt er sein Licht gleichwohl nicht unter den Scheffel. Die Schreibende spürt die Begeisterung, das Engagement das ihn mit seinen vielen verschiedenen Tätigkeiten, Begabungen und Hobbys die er ausübte, und denen er zum Teil immer noch frönt, verbindet. Überzeugen Sie sich selbst davon. Lassen Sie sich entführen, kommen Sie mit auf eine Reise durch das interessante Leben des Kurt Haberstich.
Als Junge träumte er davon ein begnadeter Koch zu werden. Anschliessend als Schiffskoch die Meere zu befahren und die Welt zu entdecken. Dann würde er in Südamerika oder irgendwo, weit entfernt, ein Hotel eröffnen. Der Weg, um diese Fantasien wahr werden zu lassen führte ihn erstmals nach, für damalige Begriffe ferne, La Chaux-de-Fonds. Es galt bei einer Bäckerfamilie französisch zu lernen. Dort, bei einem älteren Ehepaar, herrschten strenge Sitten. Der 15 jährige Bursche wurde abends in seinem Zimmer eingeschlossen. Musste er aufs Klo, hatte er zu klopfen. Egal zu welcher Nachtzeit. Der Patron kam dann mit dem Schlüssel und öffnete die Türe. Kein Wunder fühlte sich der Jüngling eingeengt und unfrei und er sagte sich: “So nicht mit mir.“ Eines Abends schaffte er es. Es gelang ihm die verriegelte Türe aufzusperren und zu türmen. Nachts um zehn stand er auf dem Bahnhof La Chaux-de-Fonds, bestieg den Zug und wollte nur eines; fort, weg aus dem Jura, heim nach Unterentfelden. Nicht gerade zur Freude seines Vaters. 1964 galten noch patriarchalische Erziehungsmethoden. Und so hiess es, als der Bursche samt seinem Bündel zuhause vor der Türe stand: „Du kommst mir gerade recht. Was fällt dir eigentlich ein, einfach abzuhauen!“ Nach der ersten Aufregung beruhigte sich der Vater. Man fand eine Einigung mit den rabiaten Bäckerleuten. Kurt musste nicht zurück ins Welschland. Eines aber war klar, genau wie seine vier älteren Geschwister hatte er einen Lehrabschluss zu machen. Erst versuchte er es im Gastgewerbe. Er wollte ja immer noch Koch werden, die Welt bereisen, ein Hotel eröffnen. Es galt einen Traum zu verwirklichen. Das klappte aber nicht und anstelle von Koch lernte Kurt nun halt vier Jahre lang den Beruf eines Konstruktionsschlossers. Anschliessend arbeitete er einige Jahre auf dem Beruf. Er bildete sich laufend weiter, und leistete sich bei Vertragsabschlüssen den Luxus einer Klausel die es ihm erlaubte, jederzeit, nullkommaplötzlich das Arbeitsverhältnis beenden zu können. Damals waren die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt genau umgekehrt wie heute. Man konnte sich die Stellen aussuchen! Diese vertraglich ausbedungene Freiheit ermöglichte es dem abenteuer- und reisefreudigen Kurt Haberstich seine Träume zu leben.

Von Gipfeln und Abenteuern
Hören, respektive lesen wir doch hier, wie begeistert Kurt Haberstich erzählt. „Bergsteigen und Klettern, das war bis 1989 mein allerliebstes Hobby. Dabei lebte ich meine überschüssige Energie aus. Es erlaubte mir, im Einklang mit der Natur zu sein. Hier in der Innerschweiz habe ich praktisch jeden Hügel und jeden Gipfel bestiegen. Viele davon mit meinen damaligen Bergkameraden. Das Bergsteigen entsprach meiner Art. Ich konnte es in der Gruppe oder allein ausüben. Im Grunde genommen bin ich eher ein Einzelgänger. Ich brauchte mehr Herausforderung. Höhere, schwierigere Gipfel. Insgesamt weilte ich etwa 6 Monate in Peru. In den Anden bestieg ich zahlreiche Berge, die über 5000 Meter hoch sind. So auch den 6768m hohen Nevado Huascaran. Das ist der höchste Punkt Perus. 1982 zog es mich mit drei Kameraden nordwärts, nach Alaska. Nach 15 Tagen Aufstieg standen wir am 4. Juni auf dem Mount McKinley, dem höchsten Berg Nordamerikas und zugleich kältesten Berg der Welt.“ Ebenfalls spannend scheint 1983 die Teilnahme an einer zweimonatigen Schweizer Expedition nach Spitzbergen gewesen zu sein. Die Vorbereitungen dafür dauerten über zwei Jahre. Während 60 Tagen bestieg das Sechserteam verschiedenste Gipfel und durchquerte die Insel von der West- an die Ostküste. Eisbären liefen der Gruppe keine über den Weg! „Interessant war auch mein Alleingang im Hohen Atlas in Marokko. Innerhalb weniger Tage bestieg ich sieben Viertausender mit den Skiern.
Und dann, 1989 kam der grosse Bruch. Das scheinbare Aus und Ende. Es passierte beim Gleitschirm fliegen. Ich verunfallte, prallte bei einem Trainingsflug im Gebiet des Männlichen, im Berner Oberland, frontal in eine Felswand, während meine Frau in Wengen auf mich wartete. Sie sah, wie eine Rettungsmannschaft einen Verletzten barg und wie er mit dem Helikopter wegtransportiert wurde. Wir hatten abgemacht, am Mittag bin ich zurück, dann gehen wir zusammen essen. Aus dem Essen wurde nichts. Dafür gab's einen längeren Spitalaufenthalt in Interlaken, und anschliessend eine gut einjährige Rekonvaleszenz. Ich hatte Schultern und Hüften ausgerenkt, den Ellbogen aufgesplittert und dazu einige Knochenbrüche. Bis heute spüre ich die Folgen dieses letztlich doch noch gut ausgegangenen Unfalls. Der teils steife Fuss wird mich immer daran erinnern! Seitdem ist es gänzlich aus mit Bergsteigen und Klettern. Übrigens, dieser verheerende Gleitschirmflug diente als Training. Geplant war wieder mal eine grössere Tour. Diesmal sollte es der 6962m hohe Cerro Aconcagua in den argentinischen Anden sein. Nach der Besteigung des höchsten Berges des südamerikanischen Kontinents wollte ich mit dem Gleitschirm zu Tal fliegen. Alles schien perfekt. Das Gleitschirm Brevet hatte ich in der Tasche. Kurz vorher hatte ich zudem eine neue Stelle angetreten.“ Hier unterbreche ich Kurt Haberstich um ihn endlich zu fragen: „Welche Rolle spielt denn eigentlich deine Frau? Steht sie hinter all den vielen, für einen Laien doch recht abenteuerlichen und auch gefährlich scheinenden, sagen wir mal, Ausflügen?“ Ilse Haberstich, Kurts grosse Liebe und Stütze aus Österreich, die beiden sind seit 1970 ein Paar, ergreift das Wort. „Natürlich gab es Situationen wo ich Angst hatte. Aber, was nützt das. Ich denke, mein tiefes Vertrauen das ich in Kurts Können habe, liess mich immer ruhig schlafen und ihm gab es Rückhalt. Passieren kann schliesslich überall etwas. Macht es Sinn im Strassenverkehr zu sterben? Dann doch lieber bei einer Lieblingsbeschäftigung. Ich denke, es kommt eh wie es kommen muss. Anscheinend musste es so enden. Denn es könnte für uns zwei gar nicht besser stimmen wie grad jetzt.“ Sagt's, steht auf und serviert Kaffee und Gebäck.

Neuer Anfang, vom Bergsteiger zum Schriftsteller
Richtig gehend wohltuend hört sich dagegen, nach der Horrorgeschichte mit dem Gleitschirm, die Schilderung an, wie er, mit den eigenen Händen und tatkräftiger Hilfe von Ilse, im Calanca Tal einen eingefallenen Geissenstall in ein schmuckes Rustico umbaut. Alles ohne Helikoptereinsatz, sämtliches Baumaterial mühsam hochbuckelte. Nicht, wie ich annehme um sich dort Ruhe und Erholung zu gönnen, sondern um es bei erster Gelegenheit zu verkaufen. Vom romantischen Berghüttlein machen wir jetzt einen Spagat und Zeitsprung zurück in die Gegenwart. Kurt Haberstich hat wieder das Wort. „Damals, als das mit dem Gleitschirm passierte, und ich mehrere Monate arbeitsunfähig war, kostete mich das zu allem auch noch meine Stelle. Die hatte ich, wie vorhin erwähnt, erst ein paar Wochen zuvor angetreten. Mir wurde gekündigt. Ich erlebte, wie es ist, ungewollt ohne Arbeit da zu stehen. Das war Mitte 1989.“ Er müsste nicht Kurt Haberstich heissen und ein „Hansdampf in allen Gassen“ sein, wenn er nicht auch aus dieser ungemütlichen Situation das Beste gemacht hätte. Hören wir. „Schon im Spital in Interlaken drängte es mich, meine Gedanken aufzuschreiben. Ich verlangte von der Krankenschwester Papier und Bleistift. Notierte was mir durch den Kopf ging. Ich spürte, das tut gut. Kurz, ich hatte Zeit zum Meditieren. Ich liess meinen Betrachtungen freien Lauf. Ohne sie zu werten. Von da an verging kein Tag mehr, ohne Schreiben. Einfach alles was ich fühlte und empfand musste ich zu Papier bringen.“ „Wie bist du zu einem Verlag gekommen?“ „Auch hier, fast wie die Jungfrau zum Kinde. Ich schickte die Gedichte und Kurzgeschichten dem „Landanzeiger“, einem Aargauer Blättli. Dem verantwortlichen Redaktor gefielen sie. Er fragte, ob ich noch mehr davon habe. So begann das mit dem Schreiben. Hätte ich damals den Mut nicht gehabt, wäre wohl nie was draus geworden.“ Inzwischen werden Kurt Haberstichs Bücher und Bildbände im Weltbild und anderen Verlagen verlegt. Er hat sich einen Namen, weit übers Seetal hinaus, erschrieben, und er mischelt mit im Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein. Vom „Immerwährenden Kalender“, über kleine Bändchen mit Gedichten, Aphorismen und Sinnsprüchen, bis zum Werkbuch „Gestalten mit Speckstein“, das als Anleitung und Wegweiser dient, das der Meister, nach praktischen Erfahrungen mit dem Stein, als Kursleiter bei der Migros Klubschule gleich selber verfasste. Veröffentlicht wurde es im AT-Verlag. Bestens bekannt sein dürfte das im Seetal Medien Verlag herausgegebene poetische Blumenporträt „Rosen auf Schloss Heidegg“.
Es war ein abenteuerlicher, manchmal auch schwieriger Weg, bis aus dem ehemaligen Konstruktionsschlosser, einstigen Leiter eines Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums und späteren Vize-Leiter des kantonalen Arbeitsamtes Luzern der Seetaler Freizeit Dichter Kurt Haberstich wurde. Umwege verlockten und öffneten zugleich neue Dimensionen. Heute geniesst Kurt Haberstich den Ruhestand, soweit er es schafft zur Ruhe zu kommen. Als Vorstandsmitglied im Innerschweizer Schriftstellerverein gibt es viel zu tun, mit Lesungen, Sitzungen und Moderationen. Am Ende unseres Gespräches, auf dem Weg in den unteren Stock, in sein Büro das zugleich Schreibstube ist, weist Haberstich mit einer Handbewegung auf die Stubeneinrichtung, bemerkt, ganz nebenbei: „ Alles was du hier siehst Tisch, Kommode, Büffet, Ständerlampe habe ich selber gezimmert und geschmiedet.“ Mir bleibt die Spucke weg und ich denke, es hat was mit dem: Wehe, wenn ihn der „Haber sticht.“

{{center}}Irgendwann
Irgendwann wird klar,
dass keine Ziele erobert wurden,
vielmehr Grenzen gespürt.
(Kurt Haberstich){{centerend}}

Anne-Marie Merz-Fluri